Kulturgut Kanarienvogel

In den Jahren 1473 bis 1496 kamen durch die Spanier, die von den Kanarischen Inseln Besitz ergriffen hatten, die ersten Girlitzwildlinge, genannt Canarios nach Spanien. Spanische Mönche begannen sie, in Käfigen zu züchten und verkauften die Vögel dann ins Ausland. Weibchen waren vom Verkauf jedoch strikt ausgeschlossen, so dass lange Jahre das Monopol gesichert werden konnte. Um 1550 wurde dieses Monopol  jedoch erschüttert, da ein spanisches Schiff, das zahlreiche grüne Kanarienhähne an Bord hatte, vor der ostkorsischen Küste strandete und die Kanarienvögel die Freiheit erlangten. Die entflogenen Hähne verpaarten sich auf der nahe gelegenen Insel Elba mit den ihnen nahe verwandten europäischen Girlitzweibchen. Die Italiener fingen die Mischlinge ein und bgannen, die gezielte Kanarienzucht in Gefangenschaft. Somit konnten die Italiener bei der Ausfuhr von Kanariensängern mit den Spaniern in Konkurrenz treten, was in wenigen Jahren zum völligen Bruch der Monopolherrschaft der Spanier führte. Von Italien aus kamen die Kanarienvögel über Tirol bis nach Deutschland. Anfangs wegen des schönen Gesangs gezüchtet, wurden die Kanarienvögel zunehmend auch im beginnenden Bergbau eingesetzt, weil sie sehr empfindlich auf das bedrohliche Grubengas reagierten. Hörte der Kanarienhahn in der Grube auf zu piepsen, war es höchste Zeit für die Bergarbeiter, den Stollen zu verlassen. So retteten die Kanarienvögel vielen Bergarbeitern das Leben. Außerdem hatte die Kanarienzucht gerade für die Arbeiter eine Nebenerwerbsfunktion, da für gute Sänger häufig ein vielfacher Wochenarbeitslohn gezahlt wurde. Züchterisch wurde bis Ende des 16. Jahrhunderts lediglich auf den Gesang geachtet. Das farbliche Aussehen der Vögel war bis dahin egal.Gegen Ende des 16. Jahrhunderts traten in Spanien die ersten gelb-gescheckten Kanarienvögel auf. In Deutschland folgten diese Anfang des 17. Jahrhunderts durch eine Mutation in den Zuchtstämmen der grünen Gesangsvögel.

Durch das Auftreten der ersten grün-gelb gescheckten Vögeln war damals zunehmende neben dem Gesang auch die Farbe interessant. Von je her neugierig, begann unter den Züchtern ein Wettlauf, wer wohl den ersten rein gelben Vogel erzüchten würde. Daneben gab es offenbar auch schon sehr früh Vögel, die in der Größe von ihren Artgenossen abwichen. Einige Züchter – besonders in Belgien – begannen gezielt, die größten Vögel untereinander zu verpaaren. So entstanden bereits Ende des 16. Jahrhunderts die ersten domestizierten Kanarien. Man unterteilt sie bis heute in Farb-, Positur- und Gesangskanarien.

1677 waren in Augsburg bereits reingelbe und weiße Kanarien gezüchtet worden. Vor 1700 wurde in Bayern von einem grünen Hahn der erste braune Vogel (Mutation) gezüchtet. Ungefähr zur gleichen Zeit traten bei dem Amsterdamer Bürgermeister COERVER bei grünen Weibchen die Verdünnung der schwarzen Melanine, die er achat nannte, auf.

Die Kenntnisse der damaligen Kanarienfarben wurde von den deutschen Ärzten SCHROECKIUS (1677) und LENTILIUS (1702) und dem Franzosen HERVIEUX (1709) erstmalig beschrieben. Die deutsch-weißgrundigen Spielarten und die achat-Vögel starben jedoch für ungefähr 200 Jahre wieder aus, da man seinerzeit mangels Vererbungswissen die Mutationen nicht zu festigen wusste.

1734 wurden schon von Deutschland aus gehaubte Kanarien nach Holland ausgeführt. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts soll ebenfalls der Lizard (Eidechs- oder geschuppter Kanarienvogel) durch Hugenotten von Frankreich nach England gebracht worden sein. Die englische Spielart, der London Fancy, soll aus dieser Rasse hervorgegangen sein, allerdings ist dieser schöne Vogel bis heute wieder ausgestorben. Zur Zeit versuchen englische Züchter, den London Fancy wieder zu erzüchten.

Erst um 1900 trat bei dem holländischen Züchter HELDER die verloren gegangene Melaninverdünnung achat wieder auf.

1908 entstanden durch eine Neumutation etwa gleichzeitig in Neuseeland, London und Paris die englisch-weißen Vögel neu. Während des ersten Weltkrieges traten in Deutschland beim Züchter BIEBRACK in Aschersleben und in Ostpreußen die verloren gegangenen deutsch-weißen Kanarien wieder auf.

1915 entdeckten zwei deutsche Mischlingszüchter BALSER in Fulda und DAHMS 1917 in Königsberg, dass die männlichen Mischlinge von Kapuzenzeisigmännchen und Kanarienweibchen zum Teil fruchtbar sind. Sie erzielten dann auch mit diesen Mischlingsvögeln die 2. Folgegeneration, kamen aber über diesen Zustand nicht hinaus, da die Weibchen auch in der F 2 – Generation unfruchtbar zu sein schienen. Erst als die ostpreußischen Mischlingsvögel an den Züchter MATERN verkauft wurden, gelang diesem durch vielfache Verpaarung der Mischlingshähne mit Kanarienweibchen eine der größten Ereignisse in der Kanarienzucht. Die Übertragung der feuerroten Fettfarbe des Kapuzenzeisigs auf den Kanarienvogel war gelungen. Außerdem bescherte die Einkreuzung des Kapuzenzeisigs quasi als Nebenprodukt noch die heute immer beliebter werdenden Mosaik-Kanarien, die die Maskenzeichnungen der Kapuzenzeisige tragen.

Drei Männer, DUNKER, CREMER und REICH, enträtselten Anfang des 20. Jahrhunderts dann gemeinsam in vielen Zuchtversuchen mit Kanarien und Wellensittichen viele Erbvorgänge, die – auf der Grundlage der Vererbungsregeln von MENDEL – bis heute Gültigkeit haben.

1930 brachte HENNIGER 18 Kanarienvogelfarben auf, die bis dahin üblichen langen Erbformeln wurden von ihm 1936 in zweckmäßige verständliche Kurzzeichen umgestellt und eingeführt.

1938 brachte er die erste OSWALDSCHE Farbnormtafel für gelbe und rote Kanarien heraus.

Die durch den zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogene Kanarienzucht blüte ab 1946 bis heute wieder richtig auf, so dass neben den zahlreichen Positurkanarienrassen stetig neue Farbschläge erzüchtet werden.

Tabellarische Übersicht Farbkanarien:

1949 Erste opal-Kanarien beim Fürther Züchter Roßner
1950 Mutation ivoor in Holland
1956 Erste Melaninpastellen in Holland durch KOLLEN
1964 Bei CEUPPENS in Belgien treten die phaeos auf
1966 Durch Mutation entsteht satinet
1968 Durch Selektion bei den schwarzpastellen entsteht der Grauflügel
1970 Erste Schwarzvögel mit dunklen Hornteilen durch Superoxidation in Italien
1970 Optischer Blaufaktor in Italien
1976 Erste Mosaikhähne auf der Weltschau von italienischen Züchtern
1976 ASCHERI in Italien entdeckt topas
1981 VAN HAAFF in Holland züchtet erste eumos
1986 LIORENS in Spanien züchtet erste onyx
Die Farbbezeichnungen der verschiedenen Farbkanarienrassen gliedern sich in

 

      Lipochromkanarien (volle Fettfarbe und Mosaik)                    
      gelbe, rote und weiße Grundfarbe (Fettfarbe) in intensiv und schimmel,
     „leuchtend“ oder ivoor

 

      Melaninkanarien (klassische Farben)
      Melanine sind Dunkelfarbstoffe (Zeichnungsmelanine und Flächenmelanine)
      in schwarz, achat, braun, isabell

 

      Nichtklassische Melaninkanarien
      pastell, opal, satinet, phaeo, eumo, topas, onyx

 

Durch Kombination der oben angeführten Farbbezeichnungen ergibt sich die große Zahl der weit über 200 standardisierten Farbenkanarien,
zum Beispiel:
schwarz + gelb + schimmel = schwarz gelb schimmel
braun + pastell + rot + ivoor + mosaik = braun pastell rot ivoor mosaik
weiß dominante oder rezessive Vererbung = deutsch weiß und englisch weiß
achat + opal + gelb + intensiv = achat opal gelb intensiv.

Tabellarische Entwicklung der Positurkanarienrassen (exemplarisch)

 

1700 Lizard
1734 Deutsch Haube
1750 Lancashire
1750 Crest
1830 Yorkshire
1848 Pariser Trompeter
1880 Südholländer
1880 Paduaner
1880 Berner
1890 Norwich
1890 Border
1890 Nordholländer
1900 Scotch
1900 Schweizer Frisé
1920 Münchener
1925 Gloster
1936 Raza Espanola
1950 Fife
1950 Gibber Italicus
1950 Japan Hoso
1960 Makige
1980 Giboso Espanol
1980 Fiorino
1750 Bossu Belge
Bei den Positurkanarien kommt es in erster Linie auf die Form (Positur) an. Die Farbe der Vögel ist im Gegensatz zu den Farbenkanarien bei den meisten Positurkanarien nur nebensächlich. So gibt es hier auch die von vielen Kanarienliebhabern so beliebten Schecken.

 

Die Positurkanarien gliedern sich in:
große glatte Positurvögel
kleine glatte Positurvögel
Frisé-Kanarien
Haltungskanarien
Deutsche Haube
Lizard